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Interview mit Frau Dr. Boecker

Antonia:

“Hallo, wir sind Lucie und ANtonia vom Gymnasium Max-Josef-Stift in München und werden heute ein Interview mit der stellvertretenden Leitung der Shakespeare-Forschungsbibliothek an der LMU, Frau Dr. Boecker, führen.

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Lucie:

“Beginnen wir nun mit der ersten Frage: wann haben Sie angefangen, sich für Shakespeare zu

interessieren?“

 

Fr. Dr. Boecker:

“Ich habe angefangen mich für Shakespeare zu interessieren im Zuge meines Anglistikstudiums. Damals war ich Angfang-Mitte 20, und habe dann über Shakespeare Staatsexamen gemacht, danach über Shakespeare promoviert. Das ist jetzt alles mindestens 25 Jahre her, also schon eine ganze Weile.“

 

Antonia:

“Uns würde interessieren, welches der Shakespeare-Werke Ihnen persönlich am besten gefällt.“

 

Fr. Dr. Boecker:

“Das ist natürlich eine schwierige Frage für jemanden, der sich schon im Grunde sein ganzes Berufsleben lang und jeden Tag mit Shakespeare beschäftigt. Mein Lieblingsstück ist wahrscheinlich "The Tempest" - auf Deutsch "Der Sturm”. Dabei geht es um einen Magier, den es auf eine Insel verschlägt und der dort auf verschiedene Geisterwesen trifft."

 

Antonia:

“Was gefällt Ihnen besonders an diesem Stück?“

 

Fr. Dr. Boecker:

“In diesem Stück gibt es die Figur des Luftgeistes "Arial". Dieser wird, als der Zauberer Prosperos auf die Inse kommt, in einer Kiefer gefangen gehalten von der Hexe, die vor dem Zauberer auf der Insel gewohnt hat. Diese Figur hat eine unglaublich schöne Sprache. Wie überhaupt die Sprache in dem Stück sehr poetisch ist. Es ist eigentlich diese Figur, die für mich dieses Stück so besonders macht.“

 

Lucie:

“Machen wir weiter mit der nächsten Frage: Mit wie vielen Jahren begann Shakespeare seine Werke zu schreiben?"

 

Fr. Dr. Boecker:

“Auch diese Frage ist, wie eigentlich die meisten Fragen über Shakespeare, schwer zu beantworten. Ich könnte jetzt eine einfache Antwort geben und sagen 26 Jahre. Shakespeare ist 1564 geboren, 1590 ungefähr ist sein ersten Stück bzw. ein Mehrteiler herausgekommen - "Henry VI", also "Heinrich VI". Wir wissen natürlich nicht, wie viel vorher er angefangen hat zu schreiben, aber im Grunde ist das, was wir wissen, so Mitte 20.“

 

Antonia:

“Wir haben während unserer Recherchen erfahren, dass Shakespeare in Stratford- upon- Avon geboren und aufgewachsen ist. Wie lebte man denn zu seiner Zeit in dieser Gegend?“

 

Fr. Dr. Boecker:

“Diese Gegend war ein Zentrum des Wollhandels. Das heißt wir wissen, dass es dort relativ viele Schafe gab. Es ist auch eine sehr ländliche Gegend oder für damals ländliche Gegend. Das merkt man auch den Shakespeareschen Dramen an, denn dort gibt es unheimlich viele Wörter, die auf Pflanzen anspielen. Also kannte Shakespeare sich offensichtlich gut mit Pflanzen aus oder war mit der Natur vertraut. Und Stratford- upon- Avon liegt in Warwickshire, das ist eine bestimmte Grafschaft in England. Oft verwendet er auch Begriffe, gerade für Pflanzen, die so nur in Warwickshire gebräuchlich waren. Die Häuser damals, also auch das Haus in dem Shakespeare aufgewachsen ist, und das Haus, das er sich später selber gekauft hat, waren Fachwerkhäuser und die hatten das, was man auf Englisch "thatched roof" nennt, also Strohdächer oder auch Reetdächer, wie sie bei uns in Deutschland heißen. Stratford selber war eine Kleinstadt, für unsere Begriffe, und Shakespeares Vater war dort, zumindest als Shakespeare noch kleiner war, ein sehr angesehener Mann. Er war Handschuhmacher, also ein Handwerker, jemand, der etwas gelernt hat also ein "skilled trade", jemand, der etwas konnte, was nicht alle konnten und später sogar Bürgermeister von Stratford.”

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Lucie:

“Shakespeare war ja sehr gebildet in der englischen Sprache. Wissen Sie, ob er damals eine Universität besucht hat und wenn ja, um welche es sich handelt?"

 

Fr. Dr. Boecker:

"Also wir wissen tatsächlich, in diesem Fall mit Sicherheit, dass Shakespeare keine Universität besucht hat. Ein Kollege von ihm, der Dramatiker Ben Johnson, hat ihn damit auch nach seinem Tod ein bisschen aufgezogen. Er hat über Shakespeare gesagt, das ist ein berühmtes Zitat: "He had small Latin and less Greek". Also er konnte ein bisschen Latein und noch weniger Griechisch. Woher er das konnte? Shakespeare hat in Stratford- upon- Avon eine sogenannte "grammar school" besucht, also grob das Äquivalent eines heutigen Gymnasiums. Dort wurde Griechisch unterrichtet, aber eben auch sehr ausführlich Latein, sodass wir fest davon ausgehen, dass Shakespeare sehr viel Latein gelernt hat, auch viel auswendig lernen musste und lateinische Literatur im Original gelesen hat."

 

Antonia:

"Merkt man denn an Shakespeares Werken, dass er damals eine "grammar school" besucht hat?"

 

Fr. Dr. Boecker:

"Tatsächlich kann man das schon so sagen, dass man das merkt. Ich greife ein Beispiel heraus. Ich habe ja eben schon erwähnt, dass dort viel lateinische Literatur gelesen worden ist und ein Autor, der eben unter anderem auch sehr viel gelesen worden ist in allen elisabethanischen "grammar schools", ist Ovid. Den kennen Sie ja vielleicht aus ihrem eigenen Lateinunterricht, wenn Sie welchen haben, und Ovid war für Shakespeare extrem wichtig. Wir finden eigentlich im gesamten Shakespearekanon, also in allen Werken, Anspielungen auf Ovid, manchmal nur kurze, manchmal aber auch strukturelle, sodass zum Beispiel Shakespeare auf einen bestimmten Mythos anspielt. Das heißt, wäre er nicht auf eine "grammar school" gegangen und hätte er in diesem Fall Ovid nicht kennengelernt, dann würden diese Stücke tatsächlich deutlich anders aussehen."

 

Lucie:

"We are Uns würde interessieren, wo Shakespeares Karriere ihren Anfang nahm. Wann erschien Shakespeare denn zum ersten Mal auf der literarischen Bühne?"

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Fr. Dr. Boecker:

"Er erschien zum ersten Mal auf der literarischen Bühne 1590 in London, das ist das erste Zeugnis, das wir haben, dass es jemanden gab, der Shakespeare hieß, und dass ein Stück von dieser Person gespielt worden ist. Das ist nicht ungewöhnlich, denn London war damals das Zentrum der englischen Theaterszene. Es gab kaum Städte, also keine anderen eigentlich, in denen es feste Theater gab, die gab es nur in London. Wie gesagt ist vielleicht davon auszugehen, dass Shakespeare auch schon vorher für das Theater gearbeitet hat, zumal damals die Autoren auch viel zusammengearbeitet haben. Also es hat nicht unbedingt immer ein Autor ein Stück geschrieben, sondern die Autoren haben sich manchmal auch zu zweit oder zu dritt zusammengetan und das Stück zusammen geschrieben. Dann ist es natürlich ein bisschen schwierig, wessen Name am Ende draufsteht, aber das offizielle Anfangsdatum ist 1590 und ganz definitiv London."

 

Antonia:

"Glauben Sie, Schriftsteller zu seiner Zeit haben Shakespeares Werke getadelt?"

 

Fr. Dr. Boecker:

“Also expliziten Tadel von anderen Schriftstellern gibt es nur eingeschränkt. Es gibt eine Quelle aus den frühen 1590er Jahren. Diese bezeichnet Shakespeare als "upstart crow", also als einen Emporkömmling im Theaterbereich. Die stammt aber von einem Konkurrenten, das heißt, das ist nicht unbedingt ein Tadel des Stücks. Dann gibt es diesen Hinweis auf "small Latin and less Greek" von Ben Johnson. Das stammt aber aus der Zeit, als Shakespeare schon gestorben war und ist auch kein Tadel des Stücks. Es gab zur damaligen Zeit die Puritaner, das war so etwas wie eine protestantische Sekte. Die hatten massiv etwas gegen das Theater an sich, aber nicht speziell gegen Shakespeare, sodass ich eigentlich nicht sagen kann, dass ein Schriftsteller zu dieser Zeit Shakespeare explizit getadelt hat."

 

Lucie:

"Ist Shakespeare eigentlich schon zu seinen Lebzeiten oder erst nach seinem Tod durch seine Arbeiten berühmt geworden?"

 

Fr. Dr. Boecker:

"Berühmtheit ist in dem Zusammenhang ein interessantes Wort, weil das aus einer Kultur kommt, die Berühmtheit in dem Sinne wahrscheinlich ganz anders definiert oder geschrieben hätte, als wir. Was wir wissen ist, dass seine Stücke beliebt waren, und das wissen wir daher, weil die Leute, denen das Theater gehört hat, für das Shakespeare geschrieben hat, Bücher darüber geführt haben, welches Stück wie viel eingebracht hat und daher wissen wir, dass die Shakespearestücke zu der Zeit relativ viel eingebracht haben. Wir wissen auch, dass einzelnen Stücke bzw. viele einzelne Stücke in der frühneuzeitlichen Version eines Taschenbuches herausgekommen sind. Das ist ein sogenanntes „Quarto“, das ist ein kleines Buch in dem nur ein einzelnes Shakespeare Stück ist und davon gibt es relativ viele, das heißt die Leute, die diese Bücher gedruckt haben, müssen sich sicher gewesen sein, dass jemand die kauft, auch im Hinblick auf Beliebtheit oder Berühmtheit. Schließlich ist 7 Jahre nach Shakespeares Tod der sogenannte „First Folio“ erschienen, das war die erste Ausgabe eines Dramatikers überhaupt, also vorher gab es das nicht, dass Theaterstücke tatsächlich als Buch erschienen sind oder als große Prachtausgabe. Auch da müssen die Drucker sich gedacht haben: „Aha, wir haben hier ein großes, teures Buch und es gibt jemand, der dieses Buch kaufen wird.“ Deswegen ist auch das Erscheinen dieses „First Folio“ ein Hinweis darauf, dass Shakespeare sehr bekannt und beliebt gewesen sein muss. Also ja, Shakespeare muss schon zu seinen Lebzeiten berühmt gewesen sein..”

 

Antonia:

“Unsere nächste Frage wäre, ob Shakespeares Werke, zu seiner Zeit unter seinem eigenen oder einem anderen Namen veröffentlicht worden sind.”

 

Fr. Dr. Boecker:

"Shakespeares Werke sind nie unter einem anderen Namen, als seinem eigenen veröffentlicht worden. Es gab zu seiner Zeit keinerlei Zweifel an seiner Identität. Dazu kann man sagen, dass das Autorschaftskonzept der Frühen Neuzeit, also der Zeit, in der Shakespeare gelebt hat, anders war als heute. Der Autor an sich war vor allen Dingen, wenn es um Theaterstücke geht, gar nicht so wichtig. Das sieht man daran, dass auf diesen Quartos, von denen ich Ihnen eben erzählt habe, nicht unbedingt steht: „Romeo and Juliet – by William Shakespeare“, sondern eher so etwas wie: „Romeo and Juliet – as it was played at the Globe – by the Lord Chamberlains Men“. Auf diesen wird dann also ein Theater genannt, in dem es aufgeführt worden ist und die Theatergruppe, also in diesem Fall „Lord Chamberlain‘s Men“, denn diese Quartos richteten sich vielleicht sogar primär an Leute, die das Stück gesehen haben und es noch einmal nachlesen wollen.”

 

Lucie:

"Und nun zu unserer letzten Frage: In welchem Schreibstil schrieb Shakespeare seine Werke?"

 

Fr. Dr. Boecker:

"Die Stücke sind zu einem Großteil, wenn auch nicht immer, im sogenannten Blankvers geschrieben. Der Blankvers ist ein jambischer Pentameter, das heißt es sind 5 Jamben mit einer Erhebung. Das ist keine bzw. nicht durchgängige gereimte Sprache, aber es ist eine strukturierte Sprache. Diese hat einen Rhythmus und das macht sie auch so eingängig. Hinzu kommt, dass Shakespeare nicht nur sehr außergewöhnlich innovativ war, was Sprache angeht, also sowohl was Sprachbilder angeht, also Metaphern usw., aber auch was Wortschöpfungen angeht. Shakespeare hat tatsächlich Worte erfunden, Redewendungen erfunden, sodass die Sprache eine Dichtigkeit oder eine Komplexität hat, die diese schon heraushebt. Auch gegenüber seinen Zeitgenossen."

 

Lucie:

"Das wars dann auch schon mit unserem Interview. Danke, dass Sie sich so viel Zeit für uns und unsere Fragen genommen haben."

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Antonia:

"Sie haben uns auf jeden Fall weitergeholfen. Wir wüschen Ihnen noch einen schönen restlichen Nachmittag. Auf Wiedersehen!”

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